Tuesday, June 28, 2016

Mehmed Ali Pascha Das neue Ägypten Teil 3

Mehmed Ali Pascha Das neue Ägypten Teil 3
Mehmed Ali Pascha ist mehr als nur ein militärischer und ökonomischer Autokrat
Im Gespräch mit Fürst Pückler erläutert der Pascha sein Rezept. Er hoffe, Pückler werde mit dem, was er bereits geleistet habe, zufrieden sein, obgleich man auch hier nie einen europäischen Maßstab anlegen dürfe. "Bald", fügt er hinzu, "wird dieses Land wenigstens imstande sein, sich im Notfall unabhängig von andern Ländern und ihren Produkten eine Zeit lang selbst genügen zu können. Deshalb, und nicht bloß des Gewinnes wegen, obgleich auch dieser mir nicht entgeht, lege ich eine so große Anzahl neuer Manufakturen und Fabriken an." Mehmed Ali stilisiert sich zum Friedensfürsten, der Ägypten im merkantilistischen Sinn autark machen will. Er wünsche, gesteht er Pückler, "dass das Schicksal mir gestatten möge, alle meine Kräfte der Industrie und dem Ackerbau allein widmen zu dürfen. Krieg habe ich immer nur geführt, wo er nicht zu vermeiden war, und ich bin fern davon, ihn zu lieben."
Tatsächlich ist seine Agrarpolitik keine Entwicklungspolitik, sondern mehrt vor allem den Militäretat. Die von den Osmanen 1826 bei Missolunghi im Triumph über die Griechen so bewunderte und 1832 bei Konya, in der Schlacht gegen die eigenen Männer, so gefürchtete ägyptische Armee kostet das Land viel Geld und Kraft. Mehmed Alis Generäle setzen auf Zwangsrekrutierungen; viele Soldaten versuchen sich durch Desertion und Selbstverstümmelung zu entziehen. Die scharfe Trennlinie zwischen dem türkischsprachigen Offizierskorps und dem Fußvolk besteht noch Jahrzehnte nach Mehmed Alis Tod fort. Zudem erhält ein einfacher Soldat einen minimalen Sold, während ein Offizier das 500-Fache verdient – in der osmanischen Armee ist das Verhältnis 1:60.
Doch Mehmed Ali Pascha ist mehr als nur ein militärischer und ökonomischer Autokrat. Er fördert die (türkischsprachige) Buchproduktion und schickt über hundert ägyptische Studenten nach Paris, darunter viele Al-Azhar-Schüler. Auch dies gehört zu seinem Modernisierungsprojekt.
Verblüffend allerdings bleibt, dass sich Kairos Einwohnerzahl zwischen 1798 (270.000 Menschen) und 1866 (282.000 Menschen) trotz des Wirtschaftsbooms kaum verändert. Die Stadt verharrt in einer seltsamen Rückständigkeit. Die Straßen sind für Fahrzeuge schwer zu passieren. Mehmed Ali selber benutzt als Einziger eine Kutsche, angeblich hat er sie von einem Kardinal erworben.
Obwohl er für sein Schloss Schubra europäische Architekturideen durchaus schätzt, zeigt er sich andernorts eher konservativ. Die unter seiner Herrschaft 1824 begonnene berühmte Alabastermoschee in Kairos Zitadelle orientiert sich am osmanisch-imperialen Stil, am ehesten wohl an Istanbuls Blauer Moschee. Ob dies geheimer Ambition Ausdruck geben soll? Dem Griff nach Sultanat und Kalifat?
1841 wird Mehmed Ali nach seinem Vorstoß bis ins westliche Anatolien von den europäischen Mächten in die Schranken gewiesen; in London, Wien, Berlin und St. Petersburg fürchtet man das jähe Auseinanderbrechen des Osmanischen Reiches. Jetzt setzt der blutjunge Sultan Abdülmecid, der 1839 Mahmud II. auf den Thron am Bosporus gefolgt ist, einen Brief an seinen "Wesir" Mehmed Ali auf, genauer einen Ferman, ein offizielles Befehlsschreiben. Der Pascha wird an seine Gefolgstreue erinnert: Ägypten sei eine Provinz des Reiches und keinesfalls souverän. Das Heer sei auf 18.000 Mann zu beschränken, die Flotte aufzulösen. Mehmed Ali dagegen bekommt nur eines, freilich das ihm Wichtigste: die Erbfolge für seine Familie als Statthalter, als Vizekönige von Ägypten.
Am 12. September 1849 stirbt der Pascha in Alexandria. Die Staatsgeschäfte hat er da für eine geraume Zeit schon nicht mehr geführt; bei seiner Beisetzung in Kairo folgt nur eine recht überschaubare Volksmenge dem Leichnam bis zum Grab bei der Alabastermoschee.
Die Familie übernimmt. Unter den Nachkommen erlangt der Khedive (Vizekönig) Ismail, ein Enkel Mehmed Alis, besondere Berühmtheit: Unter seiner Regentschaft entsteht der Sueskanal, der 1869 eröffnet wird. Das Osmanisch-Türkische bleibt übrigens bis in die 1870er Jahre in Ägypten die Sprache der Kanzlei. Am Hof gelten Türkischkenntnisse als unerlässlich. Erst der notorisch faule Faruk, der letzte Herrscher des Hauses Muhammad Ali, der 1952 von den Freien Offizieren um Nagib und Nasser weggeputscht wird, weigert sich, Türkisch zu lernen. Als man ihn als Schulkind dazu auffordert, sagt er nur: Wozu? Er sei doch eigentlich Albaner.
Bleibt der Kult um den Ahnen, um Mehmed Ali Pascha, den "Gründer der ägyptischen Nation". Sein Reiterstandbild in Alexandria hat die Stürme aller Putsche und Revolutionen überstanden. In verblüffender Parallele zur unerschütterlichen Verehrung Atatürks in der Türkei, eines anderen Pascha aus Makedonien, halten die Ägypter Mehmed Alis Andenken in Ehren – auch wenn sie von seiner raffgierigen und späterhin (unter der englischen Herrschaft von 1882 bis zum Zweiten Weltkrieg) weithin machtlosen Dynastie nichts wissen wollen. So lobt ihn 1949 der Nationalistenführer Mustafa Kamil: Mehmed Ali habe Ägyptens Unabhängigkeit begründet, die Regierung reorganisiert, alle staatlichen Stellen für gebürtige Ägypter geöffnet und Schulden vermieden. Letztlich, und damit spielt er auf die "Akklamation" von 1805 an, sei er durch die Stimme des Volkes zur Macht gelangt. Soll man das glauben?

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